Was vielleicht gar nicht so schlimm wäre, wenn Guido Kunze nicht den Sommer lieben würde. Sogar die Hitze. Als er sich von Kolfuschg aus auf die Sella Ronda begibt – in den Trikottaschen nichts anderes als Pumpe, Schlauch, Riegel, Windjacke und Telefon – scheint zwar noch die Sonne. Aber nicht mehr lange. Genau zum Ende von Runde eins schüttet es wie aus Kübeln. Guidos Frau Gaby und Sohn Melvin stehen an der Strecke, reichen Energieriegel, eine neue Trinkflasche. Guido lässt sich nicht entmutigen, nimmt zum zweiten Mal den Anstieg zum Grödner Joch in Angriff und freut sich darüber, dass der Regen schon wieder nachlässt. „Wir haben noch Glück, es hätte auch viel schlimmer kommen können“, sagt er, als er nach ziemlich genau fünf Stunden das Sellajoch erreicht – mampft schnell einen Riegel, zieht die Windjacke zu und macht sich vor dem spektakulären Panorama der Dolomiten auf die Abfahrt.
Mit seinem Singlespeed-Bike muss er sich auf den Abfahrten rein auf die Schwerkraft verlassen. Mittreten ergibt selbst bei moderaten Gefällen keinen Sinn, Antritte aus den Kurven heraus sind unmöglich. Aber natürlich bieten die Abfahrten gute Gelegenheiten, sich zu sammeln, Körper und Geist ein wenig Erholung zu geben für die kräftezehrenden Anstiege, an denen die Steigung die Trittfrequenz bestimmt und unbarmherzig den Rhythmus vorgibt. In Runde zwei beginnt sich Guido so langsam an die Strapazen zu gewöhnen. Er hat sein typisches entspanntes Grinsen im Gesicht, als er den Passo Pordoi erklimmt. Doch dann geht plötzlich die Welt unter.